Eigentlich ist ein Kartenspiel zum Bürowahnsinn doch naheliegend ... Schließlich haben Büros und Gesellschaftsspiele so vieles gemein: Alle halten sich an Regeln, die jemand anderes geschrieben hat. Freunde werden schnell zu Feinden. Und manchmal, wenn’s einer echt ernst meint, zieht er oder sie die Vorstandskarte. Im Büro – und jetzt auch im Spiel.
„Der Vorstand will das so.“ ist das Spiel für alle, die über ihren Bürowahnsinn nur noch lachen können. Es ist eine Satire auf Organisationen, die sich selbst im Weg stehen. Und es ist eine Gruppentherapie für Kolleginnen und Kollegen, die lieber lachen als sich aufregen und ärgern wollen. Seit fast zehn Jahren begleitet mich die Idee. Sie beginnt (wo sonst?!) in der Kantine eines großen Unternehmens, in dem ich damals gearbeitet habe: Irgendeine Abteilung hatte wieder nach dem Ober-sticht-unter-Prinzip eines unserer Projekte verhindert, und im Team witzelten wir: „Wir müssten auch einfach die Vorstandskarte ziehen, dann gewinnen wir endlich mal im Konzernpoker.“ Der Sprung zu einem Kartenspiel war von dort nicht mehr weit.
„Der Vorstand will das so.“ begann als bessere Grußkarte
Ein paar Wochen später: Unsere damalige Chefin feierte ihren Abschied. Anstelle des obligatorischen Wellness-Gutscheins oder der Abschiedskarte bastelten wir ihr … ein Kartendeck, mit personalisierten Spielkarten von uns allen und bekannten Kolleginnen und Kollegen aus der Firma. Zugegeben: Die Karten, die ich damals mit rudimentären Photoshop-Skills zusammengeschraubt hatte, sahen … nicht so toll aus. Und das Spiel funktionierte auch nicht wirklich. Ehrlicherweise hatte ich mir nicht einmal funktionierende Regeln überlegt. Besser als eine von allen unterschriebene Grußkarte war’s allemal.
Die Idee blieb aber - und beschäftigte mich weiter. So sehr, dass ich das Spiel in den nächsten Monaten komplett überarbeitete, all die echten Namen und Personen durch fiktive ersetzte und 110 Karten konzipierte, 55 Charaktere und 55 To-dos und Bürosituationen. Die Regeln ergaben sich im Laufe der Zeit und in den ersten Probe-Sessions. Und irgendwann, nach einigem Feintuning mit handschriftlichen Ergänzungen auf den Karten, entstanden recht unterhaltsame Spieleabende. Ich schickte den Prototypen an Spielverlage. Die lehnten dankend ab. „Zu nischig“, „passt nicht ins Programm.“ Das hat mich nicht wirklich überrascht.
Doch allein kam ich auch nicht weiter: Die Karten sahen amateurhaft aus, und große Investitionen in Grafikleistung konnte und wollte ich mir nicht leisten. Also wanderte „Der Vorstand will das so.“ auf den hohen Stapel der Hätte-schön-sein-können-Ideen. Bis 2022.
Wie (m)eine Kündigung den Vorstand rettete
Ich stand damals kurz davor, meinen Traumjob zu kündigen. Fast drei Jahre lang hatte ich ein Kampagnenteam im politischen Berlin geleitet. Ich habe dort Erfahrungen gemacht, für die ich dankbar bin, und gleichzeitig mehr als genug Dinge erlebt, die ich nie (!) wieder erleben möchte. Bürowahnsinn? Wäre untertrieben. Nach der Kündigung stand ich, je nach Perspektive, vor einem großen Raum der Möglichkeiten. Oder vor dem Nichts. Das Nichts hat es an sich, dass es Zeit öffnet und sich füllen lässt. Wie eine Stimme aus der Vergangenheit rief mich, wohl auch wegen meiner Erfahrungen und Traumata im letzten Job, „Der Vorstand will das so.“ wieder zu sich.
Dazu passte, dass ich wenige Wochen zuvor zum ersten Mal etwas von einer KI gehört hatte, die Bilder generieren konnte. Für mich klang das wie Science Fiction und tatsächlich bin ich aus den ersten Experimenten mit Midjourney, DALL-E 2 und Co. mit einem Gefühl von „interessant, aber letztlich nicht brauchbar“ gegangen. Die Ergebnisse waren zu random, zu merkwürdig, zu fehlerhaft. Deformierte Hände, irre Augen, keine einheitliche stilistische Linie: So kann man kein Kartenspiel illustrieren. Ich schrieb ein paar Berliner Illustratoren an, die ich über eine Online-Plattform gefunden hatte. Und bekam nicht einmal eine Antwort.
Der Vorstand braucht die Produktivität der KI!
Erst im Frühjahr 2023, als mein letzter Arbeitstag gerade hinter mir lag und ich erste selbstständige Projekte begann, gab ich der KI eine neue Chance. Die Fortschritte, die sie in nur sechs Monaten gemacht hatte, waren nicht weniger als beeindruckend. Ich war immer ein guter Texter und hatte ein Spiel voller Ideen. Mit Hilfe von KI konnte ich nun auch ein passabler Illustrator werden und meine Vision umsetzen. Innerhalb weniger Tage hatte ich mit Hilfe von Midjourney einen Style gefunden, der für mich passte, und 20 Entwürfe für meinen Prototyp-Charakter, die Personalvorständin Hiltrud von Grobian.
Euphorisch begann ich, meinem KI-Partner meine ersten zehn Figuren zu beschreiben – und ihn an die kurze Leine zu nehmen. Denn (wie ich) improvisieren KIs gern und sind ... manchmal zu kreativ. Das ist ein Problem, wenn das Ziel 55 Charaktere sind, die erkennbar aus einem Universum stammen sollen. Ich musste also lernen, die KI zu dressieren. Mit Seeds, Skizzen und Verweisen auf meine Vorlagencharaktere gelang mir auch das.
Fertig? Längst nicht. Nachdem ich 55 Charaktere gestaltet hatte, schien mir das Spiel schon fast in der Druckerei zu sein. Doch da hatte ich noch kein Layout. Keine Druckdaten, und keine Druckerei. Kein Marketing, keinen Instagram-Kanal und keine Ahnung von Fulfillment und Logistik. Keinen Plan von Steuern und Gewerbe oder von Online-Shops, von Domains und DNS-Einträgen. Das alles ist Stoff für eine Fortsetzung dieser Geschichte an anderer Stelle.
Die Kreation, so wurde mir schnell klar, war nur der erste Schritt. Zu einem echten Kartenspiel gehört mehr, viel mehr. Eigentlich ganz so wie im Büro: eine Bewerbung zu schreiben, ist nicht so schwierig. Aber Karriere ... davor liegt einige Arbeit. Und eine ganze Menge Bürowahnsinn.